Samstag, 29. November 2008

"1968, die RAF und die neue Linke"

Am 8.12. ist im Hardenbergcafé im Rahmen der "Aktionstage gegen Antisemitismus" ein Vortrag von Jan Gerber zum Thema "1968, die RAF und die neue Linke" zu erleben. Den Ankündigungstext findet ihr hier:


1968, die RAF und die Neue Linke



Vortrag von Jan Gerber

„Wer über das Verhältnis der radikalen deutschen Linken zu Israel spricht, referiert damit notgedrungen auch über linken Antisemitismus. Der Grund: Antisemitismus von links äußert sich seit der Gründung Israels vor allem im Zusammenhang mit dem jüdischen Staat, in Kommentaren zur israelischen Politik und in der Auseinandersetzung mit dem Zionismus.“ (Jan Gerber: Deutsche Selbstfindung. Israel und die radikale deutsche Linke – ein einführender Überblick)

Anlässlich des 40. Jubiläums von „1968“ kann jeder Unsinn über die Protestbewegung verbreitet werden: Die Achtundsechziger seien naive Romantiker mit einer „gefährlichen Blindheit“ gegenüber dem Totalitarismus, auf der Suche nach Spiritualität oder einfach nur anmaßend gewesen. Nur eins darf man im Jubiläumsjahr, in dem selbst die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt, dass die Republik in Folge von „1968“ demokratisiert wurde, nicht sagen: „1968“ war ein nationalrevolutionärer Aufbruch in der Tradition von „1933“. Wer es, wie Götz Aly in seinem Buch „Unser Kampf“, dennoch tut, zieht nicht nur den Zorn derjenigen auf sich, die „dabei“ waren: der Veteranen und Apo-Opas, die inzwischen in den Redaktionen der großen Tageszeitungen, in Ministerien oder auf Biohöfen in der Toskana untergekommen sind. Er stellt zugleich seine berufliche Reputation aufs Spiel.

Für Vergleiche zwischen den Dreiunddreißigern und Vertretern der Neuen Linken ist ein anderes Jubiläum zuständig: das des „Deutschen Herbstes“ 1977. Auch wenn im Wissenschaftsbetrieb gelegentlich lieblos darauf hingewiesen wird, dass die Geschichte des „bewaffneten Kampfes“ zur Geschichte der Neuen Linken gehört, wird sie im öffentlichen Verständnis inzwischen regelmäßig davon abgekoppelt. Tatsächlich schlug es allerdings nirgends so sehr „68“ wie bei der RAF – im guten wie im schlechten Sinn. Warum sich die Geschichte des „bewaffneten Kampfes“ nicht von der Geschichte der Neuen Linken abspalten lässt, warum die RAF der bessere SDS war, am Ende aber doch nur ein militantes Heimatschutzkommando herauskam, das Deutschland von Amerikanern, Juden und Bonzen „befreien“ wollte, und warum Götz Alys Abhandlung über die Wiederkehr der Dreiunddreißiger in den Achtundsechzigern trotz aller richtigen Erkenntnisse kein gutes Buch ist – das alles erläuterte Jan Gerber.

„Kaum einem Staat wurden und werden von Seiten der radikalen deutschen Linken solche Aggressionen entgegengebracht, wie Israel. Diese Hassgefühle stehen nicht im Zusammenhang mit der konkreten Politik der verschiedenen israelischen Regierungen. Der jüdische Staat wird vielmehr angefeindet, weil sich in ihm die Erinnerung an die deutschen Verbrechen am deutlichsten manifestiert. Israel steht dem – auch in weiten Teilen der Linken ersehnten – offenen und lautstarken Bekenntnis zu Deutschland, „Heimat“ oder dem „deutschen Volk“ allein aufgrund seiner Existenz im Wege. Zwar lässt sich nicht leugnen, dass die israelfeindlichen Aggressionen innerhalb der radikalen deutschen Linken zumeist in Folge „nahostpolitischer“ Ereignisse reaktiviert oder gesteigert wurden. Allein die Divergenz zwischen dem tatsächlichen Anlass des jeweiligen Ausbruchs – dem Einmarsch der israelischen Truppen in die Autonomiegebiete, verstärkten Repressionsmaßnahmen gegen Palästinenser usw. – und dessen Bewertung innerhalb der deutschen Linken – Vergleich mit der Politik des Nationalsozialismus und dem Holocaust – verdeutlicht jedoch: Die zentrale Beziehung zwischen den Ereignissen in und um Israel und den darauf folgenden Reaktionen innerhalb der radikalen deutschen Linken lässt sich nicht in ein einfaches Ursache-Wirkung- bzw. Aktion-Reaktion-Schema einordnen. Sondern: Die Ereignisse im Nahen Osten dienen lediglich als Stimulans für den Ausbruch ohnehin vorhandener Ressentiments.

Zwar haben diese Ressentiments ihre über Jahrzehnte hinweg gültige Funktion als verbindendes Element einer ansonsten gespaltenen Linken seit 1989/90 verloren – die antideutsche bzw. pro-israelische Linke ist bekanntlich nicht mehr so marginal wie noch zu Beginn der 90er Jahre. Im Rückblick scheint die antideutsche Agitation gegen Volk, Staat und Nation jedoch vor allem eines geleistet zu haben: einen, wenn auch unfreiwilligen Beitrag zur Transformation des Antizionismus. So erfreuen sich die völkischen Argumentationsmuster der Palästina-Komitees der 70er und 80er Jahre seit einigen Jahren zwar wieder erstaunlicher Beliebtheit innerhalb der radikalen deutschen Linken. Insbesondere im autonomen, postautonomen und Antifa-Spektrum wird das Existenzrecht des jüdischen Staates jedoch immer häufiger unter Verweis auf den allgemeinen Zwangscharakter von Staaten abgelehnt. (…) Wenn insofern auch eine Ausdifferenzierung und eine partielle Transformation der antizionistischen Argu-mentation stattgefunden hat, haben sich die Ausdrucksformen und die Hintergründe des linken Hasses auf Israel nicht verändert: Wollen die traditionellen Antizionisten ihre Liebe zu den Völkern in erster Linie durch die Vernichtung Israels zum Ausdruck bringen, versuchen die „antinationalen“ Gegner Israels ihre vermeintliche Staatsfeindschaft vorrangig in der Forderung nach der Zerstörung des jüdischen Staates und der Verbrennung israelischer Nationalfahnen auszuleben. „Die Deutschen“, so verwies Henryk M. Broder bereits 1986 auf das übergreifende Motiv dieser Vernichtungswünsche, „werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“ (Gerber: ebd.)



Jan Gerber hat gemeinsam mit Joachim Bruhn das Buch „Rote Armee Fiktion“ (Freiburg: ça ira Verlag) herausgegeben und schreibt u.a. für „Bahamas“, „Phase 2“ und „Jungle World“.

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