Dienstag, 1. Dezember 2009

Vortrag: Ehrenamt - Zwischen Förderantragsbusiness und freiwilligen Reichsarbeitsdienst

9.12. / 20 Uhr
Hardenbergcafé
Ehrenamt – zwischen Förderantragsbusiness und freiwilligem Reichsarbeitsdienst

An allen Ecken und Enden der Republik wird gehämmert, geschraubt, gebastelt, gefegt und geschoben – freiwillig, versteht sich. Ohne Ehrenämter stünde die Bundesrepublik am Abgrund: Das Gesundheitssystem würde kollabieren, Fernverkehrsstraßen würden sich aufgrund verdreckter Krötentunnel in Lurchfriedhöfe verwandeln, und die Selbstmordrate würde infolge des Zusammenbruchs der Telefonseelsorge in die Höhe steigen. Anders als oft behauptet, ist die Ehrenamts-Offensive, die seit einigen Jahren zu beobachten ist, jedoch weniger dem Rückzug des Staates geschuldet. Sie ist vielmehr Ausdruck einer Ausweitung des Staates in die Gesellschaft. Wenn Ex-Kanzler Gerhard Schröder erklärt, dass nicht der omnipräsente, sondern der "aktive und aktivierende Staat stark" sei, wird signalisiert: Der Staat nimmt seine Aufgaben nicht zurück, sondern betreibt ihr Outsourcing – in seine jeweiligen Bürger hinein. Das Ehrenamt scheint den Rest seines philanthropischen Charakters zu verlieren und sich in einen Dienst am Staat, in eine Art freiwilligen Reichsarbeitsdienst, zu verwandeln. Doch nicht nur das: In dem Maß, in dem der Staat seine früheren Aufgaben und Befugnisse in Vermittlung über Freiwilligenagenturen, Fördertöpfe und Aktionsprogramme an die Gesellschaft delegiert, entsteht ein – durchaus lukratives – Freiwilligen- und Förderantragsbusiness. Das bisherige institutionelle Gefüge wird durch das Hauen und Stechen der verschiedenen Klüngel und Cliquen abgelöst, die um die Fördertröge konkurrieren. Welche Ursachen der aktuelle Ehrenamts-Boom hat, was sich an ihm über den gegenwärtigen Stand von Gesellschaft ablesen lässt und warum die Parole "Jetzt wird gedessauert", mit der das Bauhaus Dessau derzeit für eine neue städtische Ehrenamts- und Imagekampagne wirbt, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass Dessau eben nicht nur für das Bauhaus und Kurt Weill bekannt ist, Schlimmes befürchten lässt, erläutert der Politik- und Medienwissenschaftler Jan Gerber.


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