Sonntag, 1. Februar 2009

Salon Bolschewique präsentiert: STEREO TOTAL im Interview

Eine kleine Sensation: Stereo Total beehren zum allerersten Mal Dessau, und das auch noch im Rahmen des diesjährigen Kurt-Weill-Festes. Brezel Göring und Françoise Cactus sind Stereo Total, machen Musique Automatique und spielen auf jeder Party anticonformiste. Er, eleganter Crooner aber auch der Thomas Edison des Dancefloor und sie, Autorin, Schlagzeugerin und Sängerin sind so hype, hippie und happy, dass schon alle Welt, von Novosibirsk über Reykjavik bis Rio de J. in bunten Scharen zu ihren Auftritten strömte! Dass hier seit 1993 und 7 Alben deutsche und französische Musikgeschichte aufeinanderprallen, soll nicht stören – es sind ja nicht French House und Schlager, sondern Elektronikavantgarde und Chanson, die da aneinander kleben bleiben. Konnte schließlich niemand ahnen, dass dabei die merkwürdigsten, futuristischsten Hitmaschinen aus Rockabilly, heiserer Anarchopoesie, Dactylo Rock und Diskopunk ins Laufen kommen. Wir tanzen im 4-eck, wir tanzen konzentriert. Und mit Kurt Weill wird die Band folgerichtig auch das machen, was sie so einzigartig können: ihn einer Dekonstruktion und Styleconfusion unterziehen, die sich gewaschen hat.

Wir sprachen mit Françoise Cactus und Brezel Göring:


Stereo Total haben ja schon ein gewissen Faible für Coverversionen. Brigitte Bardot, Iron Maiden, Serge Gainsbourg, Die Tödliche Doris oder Vanessa Paradise sind nur einige Künstler, deren Output von euch weiterverarbeitet wurde. Kurt Weill fällt da ja etwas aus dem Rahmen?

Wenn wir ein Lieder covern, dann geht es uns immer darum, etwas völlig neues zu machen, und das Lied aus seinem ursprünglichen Kontext herauszureißen: Iron Maiden ohne Hardrock, Brigitte Bardot ohne Gainsbourg-Orchestrierung, Joe le taxi nicht von der Lolita Vanessa Paradies, sondern von einem Mann gesungen, „Wir tanzen im 4 eck“ ohne den Krach der Tödlichen Doris... Bei Kurt Weill ist das sehr schwierig, weil er schon so oft von ganz unterschiedlichen Musikern interpretiert wurde. Die Kurt Weill-Coverversionen von Pop-Musikern hören sich auch oft so an, als wollte jemand um jeden Preis etwas anspruchsvoll-hochkulturelles machen. So ein Ansatz würde bei uns natürlich stereototal aus dem Rahmen fallen.


Euer Auftritt beim diesjährigen Kurt-Weill-Fest ist ja nicht euer erstes Intermezzo mit dem Komponisten. Es gab ja die Weill-Geschonneck-Sache…


Brezel: Der Auftritt mit Erwin Geschonneck kam auf die Initiative von Kuttner zustande. Er hat damals eine Fernsehsendung produziert, und wir drei (Françoise, ich und Geschonneck) waren die Gäste. Eher spontan fragte uns Kuttner, ob wir nicht ein Lied zusammenspielen können. Für Geschonneck ist natürlich unsere Musik sehr ungewöhnlich, und für uns war sein Vortragsstil neu. Er war nicht arrogant und hat sich auf alles eingelassen, und wir fanden ihn super.

Kurt Weills Arbeiten enthalten Reminiszenzen an populärer Musik, bisweilen wird er auch als Repräsentant eines musikalischen Surrealismus gesehen. Welche Seite interessiert euch an Weill?


Wir finden besonders die Kompositionen interessant, die er selber „Songs“ nannte – in bewusstem Gegensatz zur damals gebräuchlichen Bezeichnung „Lied“. Diese Songs zitieren Jazz oder Tanzmusik und kombinieren diese Elemente mit Dissonanzen und „krummen“ Harmonien, Sexten und Septimen. Dieser spielerische, zerstörerische Umgang mit dem Material gefällt uns besonders gut.
Wir haben uns an diesen Liedern – meist aus den späten 20ern – orientiert, und haben versucht, sie im Stereo Total-Sound zu spielen. Dann kamen noch einige Stücke aus seiner Broadway-Phase dazu, denen wir versucht haben, ein ähnliches Kostüm anzuziehen. Bei den späteren Liedern ist die Musik viel leichter zugänglich, als die Texte, die er benutzt hat.
Ich finde, dass man durchaus von musikalischem Surrealismus sprechen kann, denn die Weills musikalische Zitiertechnik in den 20er Jahren ist ein sehr schlauer, nicht-verbaler Kommentar zur Zeit, und subversiven surrealistischen Konzeptionen wie „Schwarzem Humor“ verwandt. Aber ich bin kein Musikhistoriker.

Stereo Total sind international unterwegs, ihr tourt durch Island, Mexiko, Brasilien. Warum schätzt man euch dort?

1998 haben wir unsere erste Tournee durch die USA gemacht. Damals gab es ein großes Interesse an europäischer Musik, an deutscher und französischer besonders, und an elektronischer Musik. Wir waren überhaupt nicht repräsentativ – für keines dieser Genres – aber wir sind auf ein Publikum gestoßen, das sehr hungrig nach neuer Musik war. Und damals war es auf amerikanischen Clubbühnen üblich, dass da vier Jungs mit Gitarren und Schlagzeug stehen, Ausnahmen gab es sehr selten. Die haben uns wie Marsmenschen angestarrt, aber irgendwie – obwohl sie die Texte meistens nicht verstanden haben – hatten wir sehr viel Erfolg. Das amerikanische Majorlabel Geffen wollte uns unter Vertrag nehmen, aber wir haben abgelehnt und sind stat dessen zum Independentlabel Kill Rock Stars gegangen, bei dem die Rrrrrriotgirl-Bands wie Bikini Kill bekannt geworden sind.
Auf einer Tour in Amerika sind wir dann für eine Show nach Tijuana in Mexiko gefahren. Das Konzert war extrem wild und euphorisch, eigentlich so, wie Musik immer sein sollte: ein Ausnahmezustand. Danach wurden wir von einem mexikanischen Plattenlabel gesingt, das auf den blumigen Namen „Silicon carne“ hört.
Eines Tages hat und jemand aus Brasilien kontaktiert und gefragt, ob er eine Platte von uns veröffentlichen könnte und wir eine Tour dort machen wollten. Es gab zu diesem Zeitpunkt einen brasilianischen Stereo-Total-Bootleg mit einem grauenhaften Cover, das wir zuvor niemals gesehen hatten. So kamen wir nach Südamerika.
Was den Hörern in den unterschiedlichen Ländern an unserer Musik gefällt, ist wirklich schwer zu sagen. In einem Land wurden unsere Musik als „International Underground Pop“ bezeichnet, und vielleicht trifft es diese Definition: schräg, aber trotzdem verführerisch leicht hörbar, grenzüberschreitend, sowohl linguistisch als auch stilistisch...

Funktioniert die Ironie eurer Texte z.B. auch in Japan?

Wir haben das Lied „Schön von hinten“ auf Japanisch eingesungen, und die Hörer haben an den richtigen Stellen gelacht – insofern glaube ich, dass unsere Art von Ironie verstanden wird. Umgekehrt allerdings glaube ich nicht, dass wir die japanische Ironie richtig verstehen: kürzlich wurden wir gefragt, den Soundtrack für einen japanischen Sexfilm einzuspielen.


Francoise: im Musikmagazin „Intro“ führtest Du 2007 ein fiktives Interview mit Theodor W. Adorno über Jazz und leichte Musik, Experten-, Bildungs- und Ressentimenthörer. Eine Band, die vom Jugendzentrum bis zum Jazzfestival alles mitnimmt hat es ja mit fast allen diesen Typen zu tun.

Françoise: Entweder die Leute verstehen, was wir da machen, oder sie verstehen es nicht – und dann kann man ihnen auch nicht helfen. Oftmals ist aber der unerwartete Zugang, den Leute, von denen ich es gar nicht erwartet hätte, zu unserer Musik finden, sehr erfrischend. Das passiert uns oft im Ausland, wo man gar nicht voraussehen kann, wie die Leute reagieren.
Adornos Hörertypen existieren wahrscheinlich nicht in reiner Form, sondern mischen sich in jedem Musikkonsumenten. Aber seine Analyse, dass Musik ein Transportmittel für Ideologie, ein Prestigeobjekt oder ein Ruhigstellungsmittel für kritische Fragen ist, und dass Musik in den seltensten Fällen ihrer selbst willen gehört und verstanden wird, ist sicher immer noch richtig.


Wie politisch sind Stereo Total neben all der Trash- und Diskoattitüde? Bzw.: Wie viel originärer Punk ist in euch?

Ich weiß nicht, wie politisch das ist, was wir machen. Ich habe keinen Maßstab.
Wir sind unabhängig, wir haben schon immer unsere Platten bei kleinen Independentlabels veröffentlicht, wir versuchen, dass unsere feministische und anarchische Grundhaltung unsere Musik für jeden Faschisten und Polizisten ungenießbar macht, unsere Musik ist Lo-fi, unser Proberaum ist in einem ehemalig besetzten Haus, und wir spielen Benefizkonzerte für gute Zwecke.
Sind wir Punker? Wenn Du mit Punk das meinst, was es auf MTV gibt, dann würde ich sagen: Wir haben sehr wenig davon in uns.


Am Ende des Adorno-Interviews verteidigst Du Stereo Total gegen den angenommenen Vorwurf, leichte - d.h. ideologisierte - Musik zu sein; eure Musik zeige vielmehr eine Option, dass es auch anders geht. Riecht das nicht etwas nach Jusogruppe und Kirchentag?


Nein, nein, ich will anders sein.
Als wir mit Stereo Total 1993 angefangen haben, gab es kaum aktuelle Musik, die uns gefallen hat. Wir haben dann eigene Lieder aufgenommen – wie eine Mixkassette – mit Musik, wie wir sie gerne hören würden. Das war die erste Stereo Total-Platte. Wir haben ausschließlich selbstgebaute Instrumente, oder Instrumente vom Flohmarkt, die nicht mehr als 50,- Mark gekostet haben, verwendet. Unsere Musik war anders, sollte anders aufgenommen sein und anders verbreitet werden. Nicht über die Musikindustrie und Majorplattenfirmen. Wir geben uns keinen Illusionen hin. Am Ende sind wir auch ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Aber trotzdem haben wir unsere Musik immer als etwas anderes aufgefasst: als Party Anticonformiste, wie eines unserer Lieder heißt.
So war das auch am Ende des Adorno-Interviews gemeint.
„Kirchentag oder Jusogruppe“ hingegen bedeutet für mich etwas ganz anderes: vages Ungehagen wird kanalisiert und durch Religiösität, Realpolitik und Parteiarbeit neutralisiert.

(Das Interview erschien in gekürzter Form im Programmheft des Kurt-Weill-Festivals.)

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