Samstag, 1. November 2008

Das Ende von Gesellschaft - Vom Verschwinden von Zivilisation in der ostdeutschen Provinz

Eine Veranstaltungsreihe des Beatclub Dessau

10.12. – 22.12.2008


Antisemitismus und Rassismus, generell Xenophobie, sind bekannte Phänomene der modernen Gesellschaft. Sie funktionieren unabhängig von tatsächlicher Präsenz und Anwesenheit ihrer Sujets. Antisemitismus kommt bekanntermaßen ohne Juden aus, Rassismus ohne eine vor Ort ansässige Community von Migranten. Vielmehr ist das Phänomen zu beobachten, das Zunahme von Rassismus und Antisemitismus im umgekehrten Verhältnis zur demografischen Entwicklung stehen.
Beide Phänomene sind gewissermaßen die Indikatoren für einen Entwicklungstand der modernen Gesellschaft, welcher durch einen Rückgang faktischer und ideeller zivilisatorischer Standards, eines Rückgang bürgerlicher Öffentlichkeit und des Scheitern des Konzepts der Aufklärung gekennzeichnet sind. Die „Starke Gemeinschaft“ – das Gegenstück zu einer pluralen, multikulturellen Gemeinschaft - bzw. die Vorstellung davon, wird umso versessener halluziniert und energischer proklamiert, desto rapider der Verfall ebendieser voranschreitet. Das so konstruierte Kollektiv funktioniert und konstituiert sich vor allem in der Ablehnung derer, die aufgrund von Hautfarbe, Sexualität, Religion, sozialem Status usw. nicht Teil dieses Kollektivs sein können oder wollen. Ideen der Ungleichheit sind dem Kollektiv immanent. Je trostloser die Situation für die von der Modernisierung vergessenen ist, umso aggressiver äußert sich mitunter der Stolz auf „ihre“ Gemeinschaft. Und die Konstruktion eines auf antibürgerlichen Ressentiments aufbauenden nationalen Kollektivs ist dann nur der nächste Schritt. Der Verfall von Gesellschaft geht somit einher mit der Konstruktion des „Anderen“ und der Ideologisierung dieser Ablehnung.
Man kann durchaus behaupten, dass es sich bei der beschriebenen Situation um ein flächendeckendes, durchaus ostdeutsches – und damit auch hiesiges - Phänomen handelt. Übergriffe gegen Ausländer, Homosexuelle, Obdachslose gehören immer noch zum Alltag und oft genug finden sie – wie der Fall Mügeln, der Fall Pömmelte u.a. unlängst gezeigt haben – in Regionen statt, in denen neben dem ideellen Verfall von Zivilisation auch ein faktischer stattfinden. Die „Zivilisation“: Postämter, Supermärkte, Behörden usw. ziehen sich aus vielen Regionen zurück, der Weg dorthin wird für die Zurückgebliebenen immer weiter.
Eine Analyse von Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus kann somit nur stattfinden, wenn die dahinter stattfindenden Entwicklungen, Tendenzen die Mechanismus beleuchtet werden, die ursächlich dazu führen, das Menschen wie selbstverständlich antizivilisatorischem Gedankengut nachgehen und es viel zu oft auch in die Praxis umsetzen. Ein Verfall von Gesellschaft ist die langfristige Entwicklung, die sich vielfältig, v.a. aber anhand der angeführten Phänomene äußert und deren beunruhigende Folgen allgegenwärtig sind.



Hier alle Infos und Ankündigungstexte der einzelnen Veranstaltungen:


10. 12. Lesung

Titanic Boygroup

Ort: Bauhaus Dessau (Bauhausbühne)
Einlass ab 19 Uhr,Beginn 20 Uhr

Das Satiremagazin „Titanic“ wurde 1979 von den Gründervätern der später so genannten Neuen Frankfurter Schule ins Leben gerufen. Nach ihrem Ausstieg beim Magazin „Pardon“ ging es Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, F.W. Bernstein und anderen weniger um Nonsens, als um eine Kulturkritik mit den Mitteln der Satire – so ist auch der Bezug zur Frankfurter Schule zu verstehen. Vor allem aber war das Magazin witzig und etablierte hierzulande einen neuen, vielmehr angloamerikanischen Stil. Ziel des Magazin war ist es die Zumutungen der Gesellschaft – und zunehmend ihres Verfalls – mit den Mitteln der Satire zu begegnen und Aufklärung im klassischen Sinne zu betreiben. Am 10. Dezember kann man die letzten drei Chefredakteure des Magazins, Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn und Thomas Gsella in einer vom Dessauer Beatclub veranstalteten gemeinsamen Lesung auf der Bauhausbühne erleben.
Die Lesung findet im Rahmen der Reihe: „Das Ende von Gesellschaft“ des Beatclub Dessau statt. Mehr Infos: www.beat-club.org oder www.salon-bolschewique.de


„Drei Männer, drei ruinierte Karrieren: Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn und Thomas Gsella haben zwar unterschiedliche Namen, teilen aber ein Schicksal: Sie waren Chefredakteure des endgültigen Satiremagazins TITANIC. Sie haben die Eltern der kleinen Maddie schockiert („We are shocked!“), Kurt Beck zum Problembären er nannt („Knallt die Bestie ab“), Fußball-Weltmeisterschaften ins Land geholt und die „irre Titanic-PARTEI“ (Dresdner Morgenpost) gegründet, um die Mauer wieder aufzubauen und das Merkel dahinter wegzuschließen. Sie haben Punk-Romane geschrieben, Gedichte gedichtet, sich mit Botox aufpumpen lassen und Jugoslawien den Krieg erklärt. Sie wurden beschimpft („Sie sind meine Idole!“), gefeiert („Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!“) und auf 600 Millionen verklagt. Noch sind sie auf freiem Fuß. Erleben Sie die drei Ex-Chefs mit brandneuen Programm und hochkomplexer PowerPointenPresentaion, staunen Sie über unverschämte „Briefe an die Leser“, abstoßende Polit-Aktionen, charmante Pöbeleien, feigen Telefonterror gegen die Zone, vollständige Gedichte und halblustige Witze. Ein Lachereignis der verschärften Exzellenzklasse.“

17.12. Kino und Referat:

„Herr Wichmann von der CDU" (Regie: Andreas Dresen)

Ort: Hochschule Anhalt, Gebäude 11, Hardenbergstrasse 11
Beginn 18 Uhr

Die Uckermark 2002. Henryk Wichmann ist mit 25 Jahren Bundestagsdirektandidat der CDU im nördlichsten Landkreis Brandenburgs. Dort, wo die „Proletarisierung" (Jörg Schönbohm) durch den Wegzug insbesondere junger Frauen, aber auch gut ausgebildeter Männer, ein Stadium der „Verödung und Verblödung" (Brandenburgs Finanzminister Rainer Speer) erreicht hat, das für den Osten bis auf wenige Ausnahmen repräsentativ ist, führt Wichmann einen fast schon Mitleid heischenden Wahlkampf in einer SPD-Hochburg. Da seine CDU im Gegensatz zu PDS oder NPD kaum über eine lokale Basis verfügt, bekommt die Einsamkeit, die Wichmann bei seinen Wahl-Touren umgibt, etwas
Tragikomisches: statt für sich und seine Partei zu werben, kämpft er mit Zweckoptimismus gegen die Unbilden des Wetters oder gegen die gähnende Leere am Infostand.
In dem Regisseur Andreas Dresen dem Protagonisten des Films seine eigenen Aktivitäten quasi moderieren lässt und ihn dabei ausschließlich mit der Stativkamera begleitetet, ist ein erschütterndes Dokument ostdeutscher Verhältnisse entstanden: blühende Landschaften voller sanierter Straßenzüge und Plätze, in bzw. auf denen vor sich hin welkende Menschen ihren Alltag verrichten.
Unfreiwillig spiegelt das junge dynamische Wesen Wichmanns die Trostlosigkeit Uckermärker Zustände in besonderer Art und Weise. Ganz von der „Freiheit statt Sozialismus"-Programmatik der CDU erfüllt, sieht sich Wichmann mit der Tatsache konfrontiert, die durch etliche empirische Studien belegt ist: die absolute Mehrheit der Ostdeutschen würde gut und gerne weniger Freiheit in Kauf nehmen, wenn es nur ein bisschen mehr Sozialismus einbrächte, an und in dem ja nicht alles schlecht gewesen ist.
Gerade also in der Stadt des Peter Sodann, dem ideellen Gesamtostdeutschen, ein hochaktueller Stoff.

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